- Vergil, Horaz, die Elegiker und Ovid: Rom als literarisches Zentrum
- Vergil, Horaz, die Elegiker und Ovid: Rom als literarisches ZentrumVergil und Horaz bezeichnen sich anspruchsvoll als »Vates«, göttlich inspirierte Seher, und lassen damit das hohe Ansehen erkennen, das Dichter in augusteischer Zeit genossen. Freilich waren auch sie wie die Dichter der republikanischen Zeit auf Gönner angewiesen. So bildeten hohe Herren in Rom Dichterkreise um sich: Maecenas, ein enger Vertrauter des Augustus, förderte unter anderen Vergil, Horaz und auch Properz; der Senator Marcus Valerius Messalla Corvinus hatte Tibull und Ovid an sich gezogen. Maecenas wurde durch Vergils bukolische Gedichte, die »Eklogen«, auf diesen aufmerksam, und von ihm gefördert verfasste Vergil die »Georgica«, sein landwirtschaftliches Lehrgedicht, und die »Aeneis«, die zum römischen Nationalepos werden sollte. Für seine »Eklogen« nahm er die hellenistische Hirtendichtung des Theokrit zum Vorbild und ließ wie dieser das Leben armer Hirten, ihren Wettstreit in Gesang, Flötenspiel und Liebe in verklärendem Licht erscheinen; doch werden im Sangeswettstreit auch rivalisierende Dichtungsformen angesprochen; darüber hinaus vermitteln seine Verse Stimmungen, so vor allem die der 10. Ekloge, wo die Welt der Hirten mit der elegischen Liebe des Gaius Cornelius Gallus konfrontiert wird. Andererseits sieht er in der vierten Ekloge ein neues Zeitalter des Friedens beginnen und dürfte damit Octavianus/Augustus verbinden.Vergil empfahl dann Horaz, der durch Epoden- und Satirendichtung bekannt geworden war, seinem Gönner Maecenas; der schenkte Horaz sogar ein Landgut. Horazens »Epoden«, die er selbst mit den aggressiven Jamben des Archilochos von Paros in Verbindung bringt, bieten eine bunte Palette verschiedener Lebenssituationen des Dichters; die früheren Gedichte sind noch deutlich von den Erschütterungen des Bürgerkrieges gekennzeichnet; so spricht Horaz von einem Fluch, der seit der Ermordung des Remus durch Romulus an den Römern hängt. Später allerdings bejubelt er mit Maecenas Octavianus' Sieg bei Aktium. Seine »Oden« setzen diese Dichtung fort; als Themen treten jetzt Freundschaft (auch mit seinen Gönnern), Liebe und Lebensphilosophie hervor; auch hier lässt er alte griechische Lyrik und ihre Metren (Alkaios, Pindar und Bakchylides) im Lateinischen neu erstehen. Mit unvergleichlicher Kunst überlegter Wortfügung verbindet sich bis hin zum Zahlenverhältnis der Verse ein strenger architektonischer Aufbau der Oden. Diese in längerer Zeit entstandenen Gedichte hat Horaz im Jahre 23 v. Chr. in drei Büchern unter jeweils verschiedenen, metrischen und thematischen, Gesichtspunkten zusammengestellt, sodass seine von Epikurs Lehre stark bestimmten Aussagen neben echt römische, an die Stoa erinnernde, über die Tapferkeit und das Lob des Augustus zu stehen kommen. Ihn verehrt er aus Dankbarkeit dafür, dass er ihm durch seine machtvolle und Werte setzende Politik ein Leben nach seinem Stil ermöglichte. Nach den Jahren, in denen Horaz seine philosophierenden »Versepisteln« schuf, kehrte er 17 v. Chr. zur Odendichtung zurück; für die Säkularfeier in diesem Jahr schuf er das Festlied; andere Oden hat er im vierten Buch wohl 13 v. Chr. zusammengestellt. Noch stärker erkennt er hier des Augustus Herrschaft als berechtigt und heilbringend an, ebenso tritt aber auch stärker sein Selbstbewusstsein als Dichter hervor.Voraussetzung für alle römische Dichtung dieser Zeit ist das Wirken der Neoteriker, der »Modernen«, im ersten Jahrhundert v. Chr. So nannte Cicero römische Dichter, die nach dem Vorbild des Griechen Kallimachos dem kleinen Gedicht anhingen, so auch dem kleinen Epos, dem Epyllion; sie setzten dabei ihren Stolz an die feine Ausarbeitung ihrer Verse. Zu ihnen gehörte Catull aus Verona; sein Werk ist uns vollständig erhalten. In seinen thematisch und metrisch vielseitigen Gedichten hebt sich als durchgängiges Thema seine unglückliche Liebe zu einer Lesbia ab, hinter der sich eine verheiratete Frau von hohem Stande verbirgt. Weil Catull dieser Liebe eine große Elegie und viele kleinere Gedichte in Distichen gewidmet hat, wird er manchmal zu den römischen Elegikern gerechnet. Deren Gedichte leben von einer weitgehend unerfüllten Liebe. Das ist in der Gattung neu, denn die alte griechische Elegie konnte durchaus auch politische Inhalte haben, und die Reste aus hellenistischer Zeit bieten kaum Anzeichen einer thematischen Beschränkung, wie sie von den Römern geübt wurde. Erhalten sind uns die Werke von Tibull und Properz, die beide um 50 v. Chr. geboren und um das 35. Lebensjahr gestorben sind. Gemeinsam ist beiden die Abwendung von der herkömmlichen römischen Lebensform des politischen und militärischen Erfolges, weil sie sich dem Auf und Ab ihrer leidvollen Liebe verschrieben haben. In ihren Elegienbüchern erscheinen ihre Erlebnisse mit Freigelassenen, sie heißen bei ihnen Delia und Nemesis beziehungsweise Cynthia, in dichterischer Gestaltung und psychologischer Vertiefung als aussagekräftige Sequenzen über Situationen elegischer Liebe.Ovid gehört zu einer anderen Generation; die Monarchie des Augustus wurde inzwischen als etwas Gegebenes hingenommen. Ovid wollte trotz großer rhetorischer Begabung keine Laufbahn in der Öffentlichkeit einschlagen. Auf dem Gebiet der Dichtung fand er die entfaltete Liebeselegie und das kaum zu überbietende Epos des Vergil vor. In sehr gefälliger Darstellung und feiner psychologischer Einfühlung, zugleich aber mit größerer persönlicher Distanz als seine Vorgänger in der elegischen Dichtung entwickelte er in seinen »Amores« (»Liebesgedichten«) die Vielfalt der Liebe, die er mit seiner Corinna erlebt haben will. Schicksale und feine Nachzeichnung der Reaktionen der Frau sind auch Thema der verlorenen Tragödie »Medea« und einer von Ovid neu geschaffenen Literaturform, der »Heroidenbriefe«, in denen Frauen des Mythos und die Dichterin Sappho an ihre Geliebten oder Gatten schreiben. Nach seinen Lehrgedichten hat er sein großes Werk von 15 Büchern geschaffen: die »Metamorphosen«, eine Kette von Verwandlungssagen von der Erschaffung der Welt bis zur Apotheose des Augustus. Man könnte die in Hexametern verfassten »Metamorphosen« dem Epos zurechnen, sie wegen der Fülle einzelner Verwandlungsdarstellungen aber auch mit den »Aitia« (»Ursachenerklärungen«), des Kallimachos in Verbindung bringen. In der Sicht der »Metamorphosen« besteht die Welt aus einer Fülle von Verwandlungsprodukten, die unter anderem von göttlichem, strafendem und helfendem Handeln zeugen. Ein großes Verständnis für das Menschliche durchzieht das Gedicht und begründet seine große Nachwirkung.Um Ursachenerklärungen geht es auch in den »Fasti«, dem Kalendergedicht, in dem Monat für Monat die Herkunft der römischen Feste behandelt werden sollte: Sachinformationen, Erhabenes und Erotisch-Schalkhaftes stehen nebeneinander. Es musste nach dem sechsten Buch für den Juni abgebrochen werden, weil Ovid im Jahre 8 n. Chr. die Verbannung nach Tomis am Schwarzen Meer traf und er ohne römische Bibliotheken diese Arbeit nicht fortführen konnte. Die wahren Gründe für diese Bestrafung sind nicht klar; vorgeworfen wurde Ovid sein Liebes-Lehrgedicht, die »Ars amatoria« (»Liebeskunst«). Die als Elegien abgefassten »Tristien« (»Lieder der Trauer«) und »Epistulae ex Ponto« (»Briefe vom Schwarzen Meer«), die Verbannungsgedichte, stellen antike Exilliteratur dar. In ihnen nimmt Roma, die verlorene Heimat, die Rolle der sich entziehenden Geliebten in den Liebeselegien ein. Wir erleben in diesen Gedichten, wie Ovid, ein vom Erfolg verwöhntes Mitglied der römischen Oberschicht, als Dichter tapfer in seiner Einsamkeit um Fassung ringt.Prof. Dr. Hans Armin Gärtner und Dr. Helga GärtnerDihle, Albrecht: Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit von Augustus bis Justinian. München 1989.Kähler, Heinz: Rom und seine Welt. Bilder zur Geschichte und Kultur. 2 Bände. München 1958-60.
Universal-Lexikon. 2012.